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Angreifbarkeit von Altverträgen

Aufgrund eines Vertrages aus dem Jahr 1978 hat ein Landkreis fortlaufend die Rettungsdienstleistungen an immer den gleichen Dienstleister vergeben. Als er nun diesen Auftrag erweitern wollte, tat er dies ebenfalls ohne Ausschreibung. Statt dessen änderte er einfach den Leistungsumfang des bestehenden Vertrages.

Dagegen wendet sich ein konkurrierendes privates Unternehmen. Es sieht in der Erweiterung eine unzulässige de-facto-Vergabe. Im Nachprüfungsverfahren begehrt es die Feststellung der Nichtigkeit, unterliegt aber, weil die Ausschlussfrist des § 101 b II GWB bereits abgelaufen war.

Mit der sofortigen Beschwerde verfolgt das Unternehmen sein Begehren weiter. Der aktuelle Leistungserbringer wendet noch ein, dass diese Aufstockung bereits im Vertrag von 1978 angelegt war, es sich insofern um gar keinen neuen Vertrag handele, der eigenständig angreifbar wäre. Dieser Einschätzung folgt auch das OLG Schleswig (Beschl. v. 14. 11. 2014, 1 Verg 1/14), das die Leistungserweiterung ebenfalls in dem Altvertrag begründet sieht.

Dennoch ist die Ausübung einer Option aus diesem Altvertrag vergaberechtlich keineswegs irrelevant. Zwar ist von der Wirksamkeit der Altverträge auszugehen, die lange vor Inkrafttreten der Dienstleistungskoordinierungsrichtline 92/50/EWG geschlossen worden waren. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses waren die Verträge demnach unter vergaberechtlichen Gesichtspunkten weder als sitten- noch als verbotswidrig zu betrachten. Selbst wenn man unter Zuhilfenahme des Erwägungsgrundes 13 der Richtlinie 2007/66/EG eine Unwirksamkeit des Vertrages erwägen wollte, weil er (aus heutiger Sicht) schwerwiegende Vergaberechtsverletzungen enthält, könnte die Nichtigkeit des Vertrages nicht festgestellt werden. Dazu wäre ein Nachprüfungsverfahren erforderlich, dem aber Frist der Bestimmung des § 101 b II GWB entgegensteht, die ein Nachprüfungsverfahren nur innerhalb von sechs Monaten nach Vertragsschluss zulässt. Eine unbegrenzte Angreifbarkeit von Altverträgen gibt es demnach nicht. Allenfalls bei einem rechtsmissbräuchlichen bewusst drittschädigenden (§ 826 BGB) Zusammenwirken zwischen Vergabestelle und dem aktuellen Vertragspartner könnte diese absolute Grenze der Nachprüfbarkeit überwunden werden. (vgl. OLG München, Beschl. v. 13. 6. 2013, Verg 1/13)

Der EuGH (Urt. v. 18. 7. 2007, C-503/04) hingegen erkennt in einem laufenden Altvertrag, der den heutigen vergaberechtlichen Vorgaben nicht mehr entspricht, einen fortgesetzten Rechtsverstoß, der beendet werden muss. So hat er die Mitgliedsstaaten verpflichtet, wirksam gewordene, aber vergaberechtswidrige Verträge aufzuheben. Das führt in eine gewisse Zwickmühle: Der Vertrauensschutz durch Ablauf der Frist aus § 101 b II GWB gilt nur für die beiden Vertragspartner, nicht aber für den Mitgliedsstaat. Diesen Widerspruch zwischen der europarechtlichen Forderung nach Aufhebung des Vertrags und dem nationalen Vertrauensschutz der Vertragspartner gilt es nun aufzulösen.

Eine Nichtigkeit des vergaberechtswidrigen Vertrages kommt nicht in Betracht. Dies widerspräche dem Vertrauensschutz. So bleibt als Lösung die außerordentliche Kündigung nach § 314 I BGB oder die nächstmögliche ordentliche Kündigung. Ob ein Konkurrent eine derartige Kündigung eines Altvertrages erzwingen kann, bleibt aber vom Einzelfall abhängig und konnte vom Vergabesenat mangels Zuständigkeit hier nicht entschieden werden. Die neue Vergaberichtlinie 2014/24/EU sieht eine Ausschreibungspflicht für die Notfallrettung und den medizinisch qualifizierten Krankentransport grundsätzlich nicht mehr vor. Diese Tatsache, dass die Ausschreibungspflicht nunmehr wieder entfällt, lässt daran zweifeln, ob ein Vertrag, der vor Einführung der Ausschreibungspflicht geschlossen war, noch unter dem Gesichtspunkt eines fortdauernden Vergaberechtsverstoßes aufgehoben werden kann.