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Soziale Kriterien im Spannungsfeld des Vergaberechts

In vielfältiger Hinsicht besteht der politische Wille, Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu bringen. Ein Instrument, das dafür diskutiert wird, ist die Ausnutzung der Vergabe öffentlicher Aufträge zur Reintegration Langzeitarbeitsloser. Hier stellt sich die Frage, wie der Anspruch eines öffentlichen Auftraggebers auf Beschäftigung Langzeitarbeitsloser in den Bieterbetreiben mit den Vorschriften des Vergaberechtes in Einklang zu bringen ist.

Ihren Anknüpfungspunkt im Vergaberecht finden diese Überlegungen an der Zulässigkeit sozialer Vergabekriterien. Soziale Kriterien im engsten Sinne sind z.B. behindertengerechte Gestaltung und Ausstattung („design for all“) oder barrierefreies Bauen. Über diese engsten sozialen Kriterien hinaus sind auch Vergabeverfahren denkbar, mit denen beschäftigungspolitische Impulse gegeben werden sollen.

Hierbei geht es nicht um die Einhaltung von Mindestlöhnen bzw. staatlich für allgemeinverbindlich erklärte Tarifverträgen, sondern es geht um im weiteren Sinne beschäftigungswirksame Steuerungsinstrumente. Diese Steuerungsinstrumente können Langzeitarbeitslose betreffen, die in den regulären Arbeitsmarkt wieder integriert werden sollen. Sie können jedoch auch bspw. die Förderung von Jugendlichen betreffen, um die Integration von Jugendlichen oder jungen Heranwachsenden zu befördern.

Ihre Grenzen finden die sozialen Kriterien im Diskriminierungsverbot. Praktisch greift dieses Verbot immer dort, wo die Mitgliedsstaaten soziale Bedingungen bei der öffentlichen Auftragsvergabe zulassen, welche der tatsächlichen und rechtlichen Situation in anderen Staaten widersprechen. So ist es unter dem Maßstab des europäischen Diskriminierungsverbotes unstatthaft, wenn die Politik eines Mitgliedsstaates Vorschriften initiieren würde, die entweder im Sinne eines eignungsmäßigen k.o.-Kriteriums eine ausschließliche Vergabe an Ausbildungsbetriebe erlauben oder im Rahmen der Zuschlagserteilung diesbezüglich eine Besserbewertung im Rahmen der Angebotsauswertung beinhalten. Entsprechende Lehrlingsausbildungserlasse sind daher bereits im Jahre 2001 ausgelaufen

Das Gebot der wirtschaftlichsten Vergabe steht den sozialen Kriterien hingegen nicht im Wege. Mindestens seit den Jahren 2002/2005 (EuGH bzw. EuG-Rechtsprechung) ist nicht immer zwingend Wirtschaftlichkeit als alleiniges Kriterium für den Zuschlag gefordert.

In dem Erwägungsgrund Nr. 93 zur aktuellen Vergabekoordinierungsrichtlinie 2014/24/EU betont der Richtliniengeber darüber hinausgehend das strategische Ziel der sozialen Integration von benachteiligten Personen oder Angehörigen sozialschwacher Gruppen. Der Richtliniengeber stellt unter Erwägungsgrund Nr. 95 heraus, dass das Vergaberecht die Potentiale ausnutzen sollte, die ihm zur Verfügung stehen, und die in der Strategie „Europa 2020“ für intelligentes, nachhaltiges, und integratives Wachstum niedergelegt sind.

Systematische Einordnung sozialer und (beschäftigungs-) politischer Ziele in das Vergabeverfahren

Soziale wie auch Umweltkriterien im Vergaberecht lassen sich nicht ohne weiteres absolut trennscharf unter die traditionellen rechtlichen Kriterien einordnen: Die traditionellen rechtlichen Kriterien sind:

  • Eignung: Unter Eignung wird traditionellerweise die Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit verstanden. Die Eignungskriterien bilden, jedenfalls zu weiten Teilen, den falschen Ansatzpunkt. Insoweit steht auch die so genannte „Beentjes“-Rechtsprechung des EuGH entgegen.
  • Die Leistungsbeschreibung kann als soziales Kriterium im engsten Sinne in der Weise rangieren, als barrierefreies Bauen in dem Falle sogar ausschließliches Kriterium der Leistungsbeschreibung ist. Die Leistungsbeschreibung hat insoweit mit der Sicherung sozialer Standards zu tun, als sie Aspekte umfassen muss, wie z.B. Nachtarbeit, die zu einer erhöhten Entlohnung, führt. Insofern funktioniert die Sicherung sozialer Standards unproblematisch über die Leistungsbeschreibung.
  • Der Bereich der Zuschlagsentscheidung kann schon eher soziale bzw. beschäftigungswirksame Belange abbilden, wenn sie abseits klassischer Preis-Leistungs-Faktoren einen Gesichtspunkt bildet, der noch einen ausreichenden Zusammenhang mit der Ausführung der Leistung aufweist. Insbesondere muss es dann um eine Eigenschaft des Angebotes gehen, mindestens aber um ein Leistungsversprechen, dessen Plausibilität im Zusammenhang mit der Bewertung im Hinblick auf den Zuschlag schon beurteilt werden kann.
    Letzteres ist etwa im Falle der Abfrage von Konzepten der Fall, in denen der Bieter gefordert ist, bspw. ein Betreiberkonzept unter Einbindung der späteren Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen und sonstigen Maßnahmen der Qualifizierung zu schildern. Ein rein in die Zukunft gerichtetes, nicht konzeptionell überprüfbares, Versprechen jedoch bewegt sich über den Zuschlag hinaus in Richtung Ausführungsbedingung.
  • Die Ausführungsbedingungen sind Umstände, die typischerweise über den Zuschlag und die damit zusammenhängenden Bewertungsmöglichkeiten in der Zuschlagsphase hinausgehen.
    Dementsprechend hat der Richtliniengeber bereits im Jahre 2004 die Bestimmung des Art. 26 der Richtlinie 2004/18/EG geschaffen, mit der so genannte „Bedingungen für die Ausführung des Vertrages“ als 4. Kate-gorie im öffentlichen Auftragswesen (also neben Eignung, Leistungsbeschreibung und Zuschlag) anerkannt wurden.

Bereits in der Auftragsbekanntmachung müssen die öffentlichen Auftraggeber unbedingt zwischen diesen Kriterien differenzieren. Sie sind, soweit irgend möglich, systematisch voneinander zu trennen. Die Konsequenz daraus ist soziale Kriterien, die für die Beschäftigungssicherung relevanten sind, dass im Zusammenhang mit beschäftigungswirksamen sozialen Aspekten eine Entscheidung zwischen den einschlägigen Zuschlagskriterien und den Ausführungsbedingungen erfolgen muss.

Die rechtlichen Verankerungen finden sich in der EU-Richtlinie 2014/24/EU (Art. 67 und 70).

Die EU-Richtlinie

  • spricht bei den Zuschlagskriterien im Art. 67 lediglich von „sozialen Aspekten“ bzw. „sozialen Eigenschaften“
  • wohingegen in ihrem Art. 70 unter den sog. Bedingungen für die Ausführung des Auftrags von „sozialen oder beschäftigungspolitischen Belangen“ die Rede ist.

Daraus ergibt sich, dass der Begriff der „Beschäftigungspolitischen Belange“ als zugelassene sog. „Ausführungsbedingungen“ der speziellere ist im Vergleich zu den „sozialen Belangen“, die als Zuschlagskriterium statthaft sind.

Die dahinterstehende Erwägung des EU-Richtliniengebers ist dabei diejenige, dass die politische Steuerung eher für die Auftragsausführung gelten soll. Tendenziell für diese Steuerung weniger geeignet sind soziale Kriterien, die als Zuschlagskriterium zu rangieren geeignet wären, weil sie dem Produkt anhaften.

Spielräume der Kommunen speziell bei der öffentlichen Vergabe von Infrastrukturmaßnahmen

In der Vergangenheit hat es durchaus erfolgreiche Modelle von kommunalen Infrastrukturmaßnahmen gegeben, bei denen ABM-Kräfte eingesetzt bzw. sogenannte Arbeitsgelegenheiten geschaffen wurden. Die Stadt Leipzig berichtet über eine Dauer von 10 bis 12 Jahren gute Erfahrung gemacht zu haben. Nicht wenige Dienstleistungen insbesondere im Niedriglohnsegment wären gar nicht zustande gekommen, wenn nicht die Stadt in Zusammenarbeit mit dem dortigen Jobcenter Arbeitsgelegenheiten bzw. Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen herbeigeführt hätte.

Im Rahmen von Ausschreibungsverfahren kann in erster Linie der Weg verfolgt werden, bei der Vergabe von Infrastrukturmaßnahmen die Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen zu einer Bedingung für die Ausführung des Auftrages zu machen.

Als geeignete Infrastrukturmaßnahmen im weiteren Sinne sind vorstellbar:

  • Klassische Hochbaumaßnahmen, wie z. B. Investitionen in Schulen, Kindertagesstätten, Sporthallen, Mehrzweckhallen
  • Klassische Tiefbaumaßnahmen: Bau von Straßen, Parkplätzen, Ausbesserungsarbeiten an vorhandenen Straßen und Wegen, Bau von Radwegen, Verbesserung der Infrastruktur durch Beleuchtung der Radwege, Kanalbauarbeiten mit Ersetzung alter undichter Rohre z.B. durch moderne Kunststoffrohre, Verlegung von Leerrohren für Telekommunikation und Breitbandausbau, u. s. w.
  • Instandhaltungs- und Unterhaltungsarbeiten: Diese können reichen von Ausbesserung der Beleuchtungseinheiten über den Baum- und Strauchschnitt an Straßen und der Pflege von Grünanlagen bis hin zu Arbeiten wie Böschungssanierungen, sowie Unterhaltungsarbeiten an Böschungen mit laufender Entkrautung
  • Zu denken ist im Zusammenhang mit kommunalen Infrastrukturmaßnahmen außerdem an Leistungen, die komplett im Dienstleistungsbereich liegen, wie z.B. Pfortendienst für eine städtische Bibliothek, die Bewachung von Objekten, sofern dies nicht durch spezielle Drittfirmen erfolgt, oder das Betreiben spezieller Einrichtungen wie Cafés, Kantinen oder Second-Hand-Möbelgeschäfte etc.

Beispiel: Betreibung einer gastronomischen Einrichtung

Der Betrieb einer zuvor in baulicher Hinsicht kernsanierten Gaststätte wurde im Rahmen eines so genannten Interessenbekundungsverfahrens ausgeschrieben, also einer Art Verhandlungsverfahren mit vorgeschalteter Eignungsprüfung. Zielvorstellung der Stadt ist es dabei gewesen, dass im Rahmen des Betriebes dauerhaft auch arbeitslose Jugendliche und langzeitarbeitslose Erwachsene, ggf. mit größeren Vermittlungshemmnissen, in verschiedenen Berufsfeldern qualifiziert, ausgebildet und beschäftigt werden.

Die Stadt erwartete von dem späteren Betreiber dauerhaft und im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten die Einbindung von Ausbildung/Qualifizierung und Beschäftigung arbeitsloser Menschen in verschiedenen Berufsfeldern. Daher wurde von den Bietern im Vergabeverfahren ein aussagekräftiges Konzept erwartet, welches die Qualifizierung und Beschäftigung von jungen Arbeitslosen und/oder langzeitarbeitslosen Erwachsenen, ggf. mit besonderen Vermittlungshemmnissen, konkret darstellt.

Hierbei handelt es sich um eine Art „klassischer Konzeptabfrage“ mit Bewertung bei der Zuschlagsentscheidung, die durch eine Jury erfolgt. Der hierfür zu akquirierende Teilnehmerkreis war im Rahmen des der Bewerbung beizulegenden Konzeptes ausführlich nach Struktur, Anzahl und hinsichtlich der später geplanten Einsatzbereiche/-orte aufzugliedern.

Für die einzelnen Betriebsbereiche wurden jeweils Aussagen zum (zahlenmäßigen) Verhältnis zwischen geförderten und nicht geförderten Beschäftigten erwartet. Die Ausgestaltung von Qualifizierung und Beschäftigung, ggf. mit Darstellung der einzelnen Fördermöglichkeiten und allen einzubeziehenden Partnern musste von den Bietern nachvollziehbar dargestellt werden.

Unter der Überschrift „Eignungskriterien und Nachweise“ forderte die Stadt, dass aussagekräftige Nachweise über die Befähigung und Eignung und/oder Erfahrungsnachweise über die Führung eines Café und/oder Restaurantbetriebes im Rahmen von Integrationsmaßnahmen vorzulegen sind.

Konkret waren Unterlagen und Referenzen zum Nachweis über Erfahrungen mit der Qualifizierung und Beschäftigung von jugendlichen Arbeitslosen und langzeitarbeitslosen Erwachsenen, auch mit besonderen Vermittlungshemmnissen, in den vergangenen fünf Jahren vorzulegen.  Zu benennen waren

  • Art und Umfang der Maßnahmen,
  • Struktur und Einsatzorte der Teilnehmer und
  • Kooperations- und Finanzierungspartner der durchgeführten Maßnahmen.

Ausreichender Rechtsrahmen für Vergabeverfahren mit dem Ziel der späteren Beschäftigung Langzeitarbeitsloser?

In entsprechenden Ausschreibungsverfahren bzw. Interessenbekundungsverfahren wird man in praxi geneigt sein, Eignungskriterien als k.o.-Kriterien in der Weise einzuführen, dass vornehmlich solche Unternehmen angesprochen werden, die vergleichbare Leistungen mit besonderen Zielsetzungen im Bereich Ausbildung/Qualifizieurng einerseits und Langzeitarbeitslose andererseits schon einmal erbracht haben.

Diesbezüglich setzt die „Beentjes“-Rechtsprechung Grenzen, die Kriterien wie die Beschäftigung Langzeitarbeitsloser ausdrücklich nicht dem Bereich der Eignungskriterien zugewiesen hat. Dennoch gibt es hier ein berechtigtes Interesse, Eignungsvoraussetzungen in dieser Richtung zu schaffen.

Auch Vereinfachungen der Rechtsvorschriften sind grundsätzlich wünschenswert. Im Bereich der Verfahren sind erhebliche Flexibilisierungen bereits existent, wenn soziale und andere besondere Dienstleistungen betroffen sind respektive es im Einzelfall um einen Betreibervertrag geht, dem eine Dienstleistungskonzession (und kein öffentlicher Auftrag im engeren Sinne) zugrunde liegt.

Ergänzend zu den ggf. erweiterten Möglichkeiten der Verfahrenswahl auf Seiten der Vergabestelle gesellt sich die Frage der Vereinfachungen durch die elektronische Vergabe. Gemeint ist damit zunächst die elektronische Bekanntmachung (mit unbegrenzter elektronischer Recherchierbarkeit), die Zurverfügungstellung der Vergabeunterlagen in elektronischer Form und ggf. zusätzlich die elektronische Angebotsabgabe.

Zugangsmöglichkeiten zu öffentlichen Aufträgen für interessierte Unternehmen?

Unternehmen, die z. B. in Bietergemeinschaften mit Beschäftigungsträgerunternehmen bereits solche und ähnliche Projekte durchgeführt haben, werden sich nicht sonderlich schwer tun.

Gemäß den insoweit vorliegenden Rückmeldungen tun sich Unternehmen, die ohne Erfahrungen mit solchen Projekten ausgestattet sind, deutlich schwerer. Es bestehen zum Teil Vorbehalte dahingehend, dass die Arbeit nicht ordentlich gemacht wird und entsprechende negative Vermerke bei den öffentlichen Auftraggebern angefertigt werden, die zu Ausschlüssen wegen schlechter Vorerfahrungen führen. Das kann insofern heute erst recht seine Begründung darin finden, dass das Oberschwellenrecht – und ihm folgend die UVgO – erstmals diesen Tatbestand ausdrücklich normiert.

Hier müssen in flankierender Weise Vorbehalte durch eine aktiv kommunizierte Vergabepolitik abgebaut werden. Zuschlagskriterien müssen in deutlicher Gewichtung als chancenverbesserndes Element für den Erfolg der Bewerbung ausgestaltet werden.