Ein Nachprüfungsantrag ist schriftlich bei der Vergabekammer einzureichen und unverzüglich zu begründen. Er soll ein bestimmtes Begehren enthalten (§ 108 I GWB). An den Detaillierungsgrad der Begründung stellt der folgende Absatz der Norm weitere Anforderungen.
In der Praxis hat es sich eingebürgert, dass Nachprüfungsanträge in aller Regel in einem einheitlichen Schriftsatz inklusive Begehren und Begründung eingereicht werden. Die Formulierungen des § 108 GWB lassen aber auch eine gesplittete Einreichung in Antrag und nachgeschobener Begründung möglich erscheinen. Dafür spricht die Aufteilung von § 108 I Satz 1 GWB in zwei gedankliche Teile. Es steht eben nicht geschrieben: „Ein Nachprüfungsantrag ist nebst Begründung schriftlich einzureichen…“ Das Merkmal der Unverzüglichkeit erweckt den Anschein, als solle das Nachreichen einer Begründung erst nach Ablauf einer gewissen Frist ausgeschlossen werden.
Gegen diese Auslegung allerdings spricht das Beschleunigungsgebot, in dessen Anbetracht die Anforderungen an eine wirksame Antragstellung im Nachprüfungsverfahren erhöht sind. So auch Byok in Byok/Jaeger, Kommentar zum Vergaberecht, 3. Aufl. 2011, Rdn. 1 zu § 108: „Die vergleichsweise strengen Anforderungen des § 108 GWB dienen vor allem der Beschleunigung des Nachprüfungsverfahrens“, basierend auf der amtl. Begründung zum Gesetzentwurf). Deswegen wird richtigerweise in der Praxis ein einheitliches Schriftsatz-Dokument eingereicht, in dem die Anträge gestellt werden und sodann direkt die Begründung erfolgt. Letztlich liegt ein solches Vorgehen auch im ureigensten Interesse des Antragstellers. Denn die Vorprüfung des Nachprüfungsantrages auf offensichtliche Unzulässigkeit oder Unbegründetheit (§ 110 II GWB) erfordert es, dass dem Antrag Begehren und Begründung beigefügt sind. Das ist logisch: Solange jedenfalls eine Begründung nicht eingereicht ist, muss der Antrag als offensichtlich unbegründet eingeordnet werden. Erst nach für den Antragsteller erfolgreicher Vorprüfung wird der Antrag dem Antragsgegner übermittelt. So wird es auch von den Vergabekammern praktiziert (vgl. z.B. dazu VK Südbayern, Beschl. v. 26.11.2015, Z3-3-3194-1-56-11/15). Erst danach setzt der Suspensiveffekt ein, der den Antragsgegner am Zuschlag im streitgegenständlichen Vergabeverfahren hindert.
Solange die Begründung nicht vorliegt oder die konkreten Anträge nicht gestellt sind, kann das Verfahren gar nicht anlaufen. In Anbetracht des Beschleunigungsgrundsatzes und der möglichen Unerfahrenheit des Bieters mit Nachprüfungsverfahren werden die Vergabekammern wohl in der Regel den Bieter bei Antragstellung, die zunächst ohne Begründung erfolgt, auf diese Folge (wie im genannten Verfahren) hinweisen. Indes: Sie müssten es nicht und könnten auch den Eingang der Begründung abwarten. Letztlich liegt es im Verantwortungsbereich des Antragstellers, schnellstmöglich alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um die eigenen Rechte zu wahren.
Während bei einer gesplitteten Antragstellung, in der sowohl Antrag als auch Begründung rechtzeitig vor Verstreichen der Fristen nach §§ 101b II bzw. 107 III Nr. 4 GWB eingehen, die Rechtsfolgen klar sind, stellt sich die Frage, wie ein Antrag zu bewerten ist, der rechtzeitig eingeht, dessen Begründung aber erst nach Verstreichen der Ausschlussfristen nachgereicht wird.
Aus den besonderen Zielsetzungen des GWB-Vergabenachprüfungsverfahrens heraus dürfte die Voraussetzung einer unverzüglichen Begründung im Sinne des § 108 GWB wohl als unmittelbare Begründungspflicht zu verstehen sein. Der Gesetzgeber hat dies aus gutem Grund so gewollt. Eine Splittung zwischen formaler Antragstellung und Nachschieben der Begründung ist vom Gesetzgeber für das GWB-Vergabenachprüfungsverfahren, das als besonderes Eilverfahren ausgestaltet ist, erkennbar nicht gewollt worden.
Kann das aber der in der Materie unerfahrene Bieter erkennen? Das Nachprüfungsverfahren kennt keinen Anwaltszwang. Es ist bewusst so ausgestaltet, dass auch der nicht speziell rechtskundige Bieter zumindest erstinstanzlich bei groben Verstößen allein durch die Lektüre der einschlägigen Normen Rechtsschutz erreichen können soll. Misst man die Formulierung am europarechtlichen Grundsatz des „effet utile“, so dürfte zumindest dem anwaltlich nicht vertretenen Bieter die vermeintlich einfache Auslegung, dass die Begründung unverzüglich nachzureichen ist, nicht zum Nachteil gereichen.
Auslegungsfähig scheint ferner auch die Vorschrift, dass der Antrag ein bestimmtes Begehren nur enthalten „soll“. Welcher Ausnahmefall hier adressiert sein könnte, bei dem ein Nachprüfungsantrag ohne Benennung eines Begehrens statthaft sein sollte, lässt sich kaum ausmalen. Mangels konkret vorstellbarer Ausnahmetatbestände kann diese Soll-Vorschrift effektiv nur als Muss-Vorschrift verstanden werden.
Die Formulierung des § 108 I GWB ist im Übrigen unverändert in den neuen § 160 I GBW 2016 übernommen worden.